Geheimcodes im Arbeits-Zeugnis?
30.01.2003
Das Erteilen und Entziffern von Arbeitszeugnissen gilt immer noch weithin als Mysterium. Da das Gesetz vorschreibt, dass die Beurteilung gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nur objektiv sondern auch wohlwollend sein muss, hat sich eine ?Geheimsprache? entwickelt, die mit wohlgesetzen Worten einem Dritten die Qualitäten, hauptsächlich aber die Mängel des Arbeitnehmers zu vermitteln sucht. Wer jedoch einige Grundregeln kennt und beherzigt, dem wird sowohl das Abfassen als auch die Lektüre von Arbeitszeugnissen keine Schwierigkeiten bereiten, da das Spiel mit der Beurteilung von Arbeitnehmern nach weitgehend festen Regeln abläuft.
Grundsätzlich muss jedes Arbeitszeugnis eine Beschreibung der ausgeübten Tätigkeit und die Dauer der Beschäftigung enthalten. Diese Art von Zeugnis bereitet in der Praxis selten Schwierigkeiten. Problematisch sind die qualifizierten Arbeitszeugnisse, die neben den reinen Fakten auch eine Beurteilung der Führung und der Leistung des Arbeitnehmers enthalten. Hier werden Eigenschaften wie (Fach-) Wissen, Kreativität, Stressakzeptanz, Fleiß, Arbeitsleistung, Teamfähigkeit, Auftreten und Führungsfähigkeiten beurteilt. Ein solches qualifiziertes Zeugnis ist auf Verlangen des Arbeitnehmers auszustellen und stellt in der Praxis die Regel dar, da eine Bewerbung ohne qualifiziertes Zeugnis derzeit wenig Aussicht auf Erfolg bietet. Die Benotung der Arbeitsleistung orientiert sich an einer den Schulnoten entsprechenden Skala von sehr gut bis ungenügend. Als Faustregel gilt: sehr gut ist, wer über die Maßen gelobt wird; befriedigend ist, wer gelobt wird; schlecht ist derjenige, über den nichts Negatives gesagt wird, der aber entweder nicht oder für eigentlich Selbstverständliches gelobt wird.
In der Praxis hat sich ein Schema von immer wieder auf ähnliche Weise verwendeten Floskeln herausgebildet:
Sehr gut:
Die ihm übertragenen Arbeiten wurden stets zu unserer vollsten Zufriedenheit erledigt.
Er hat unseren Erwartungen in jeder Hinsicht und allerbester Weise entsprochen.
Gut:
Die ihm übertragenen Arbeiten wurden stets zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt.
Er hat unseren Erwartungen in jeder Hinsicht und bester Weise entsprochen.
Befriedigend:
Die ihm übertragenen Arbeiten wurden zu unserer vollen Zufriedenheit erledigt.
Er hat unseren Erwartungen in jeder Hinsicht entsprochen
Ausreichend:
Die ihm übertragenen Arbeiten wurden zu unserer Zufriedenheit erledigt.
Mangelhaft:
Die ihm übertragenen Arbeiten wurden im Großen und Ganzen zu unserer Zufriedenheit erledigt.
Er hat seine Aufgaben mit großem Eifer erledigt und war erfolgreich.
Ungenügend:
Er hat sich bemüht die ihm übertragenen Arbeiten zu unserer Zufriedenheit zu erledigen.
Er erledigte die ihm übertragenen Aufgaben mit Fleiß und war stets bestrebt sie termingerecht zu beenden.
Neben den Arbeitsleistungen wird in der Regel auch ein Hinweis auf die Person und die allgemeine Führung des Arbeitnehmers gegeben. Dies sind oft auch Warnhinweise an einen künftigen Arbeitgeber, mit denen äußerst vorsichtig umzugehen ist, da bei eventueller gerichtlicher Nachprüfung derjenige, der die Beurteilung angestellt hat, für deren Wahrheitsgehalt beweispflichtig ist.
Übliche Klauseln sind:
hat alle Arbeiten ordnungsgemäß erledigt = arbeitet nach Vorschrift, ohne Eigeninitiative.
ist mit seinen Vorgesetzten gut zurechtgekommen = ist ein Mitläufer, der sich anpasst.
war tüchtig und wusste sich gut zu verkaufen = unangenehmer Mitarbeiter, oft auf Kosten anderer.
war wegen seiner Pünktlichkeit ein gutes Vorbild = völlig unbrauchbar.
war wegen seiner Persönlichkeit ein gutes Vorbild = deutlich unterdurchschnittliche Leistungen.
Das Arbeitsverhältnis wurde im gegenseitigen Einverständnis beendet = dem Mitarbeiter wurde gekündigt.
hat sich im Rahmen seiner Fähigkeiten eingesetzt = guter Wille, allein es fehlen eben die Fähigkeiten.
erledigte alle Arbeiten mit großem Fleiß und Interesse = fleißig aber unfähig.
zeigte für seine Arbeit Verständnis = faul und unfähig
galt im Kollegenkreis als toleranter Mitarbeiter = für Vorgesetzte ein schwerer Brocken
wir lernten ihn als umgänglichen Kollegen kennen = unbeliebter Mitarbeiter
ist ein zuverlässiger Mitarbeiter = ist immer da, wenn man ihn braucht, allerdings nicht immer besonders von Nutzen
war mit Interesse bei der Sache = nichts vorzuwerfen, aber auch keine Vorzüge
zeigte für seine Arbeit viel Verständnis = faul
trug durch seine Geselligkeit zum guten Betriebsklima bei = Betriebsnudel, möglicherweise zu viel Alkohol
fand für die Belange der Belegschaft stets Einfühlungsvermögen = auf der Suche nach Sexualkontakten im Betrieb
Besonders zu achten ist im Übrigen auf die Schlussformel des Zeugnisses, da diese ausdrückt, welchen Wert der Arbeitnehmer für seine letzte Firma hatte, was oftmals ein ausschlaggebendes Kriterium für die Vergabe einer Stelle sein kann.
Übliche Formulierungen sind:
Das Arbeitsverhältnis wurde im gegenseitigen Einverständnis aufgehoben = dem Mitarbeiter wurde gekündigt.
verließ uns auf eigenen Wunsch = ist der Kündigung zuvorgekommen.
wir wünschen ihm für seinen weiteren Berufsweg alles Gute = hat selbst gekündigt, ohne Wertung.
wir bedauern den Verlust des Mitarbeiters und wünschen ihm alles Gute für seinen weiteren Berufsweg = hat leider gekündigt.
wir bedauern den Verlust des Mitarbeiters sehr und ... = der Weggang ist ein Verlust für die Firma (steigerungsfähig bis zur Katastrophe).
Wie Sie sehen enthüllt sich das Mysterium des Arbeitszeugnisses relativ schnell, wenn man sich die oben dargestellte Systematik verdeutlicht, falls nicht insgeheim schon an neuen Verschlüsselungstaktiken getüftelt wird.
(Sarah I. Struck, hrfactory.de)
Weiterführende Links:
Arbeitszeugnis.de
Bewerbungsmappen.de zum Thema Zeugnissprache
Professioneller Zeugnischeck
Forum Berufsbildung zum Thema Arbeitszeugnisse
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de