Anfechtung einer Eigenkündigung
09.06.2004
§_123 Abs._1 BGB
Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist nur dann widerrechtlich und berechtigt zur Anfechtung einer daraufhin erklärten Eigenkündigung des Arbeitnehmers, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte.
BAG, Urteil vom 3. Juli 2003 ? 2 AZR 327/02
Problempunkt
Die Parteien streiten darüber, ob der klagende Arbeitnehmer seine Eigenkündigung rechtswirksam angefochten hat.
Der Kläger war seit 1967 bei der beklagten Sparkasse beschäftigt, zuletzt als Leiter einer Geschäftsstelle. Seine Schwiegereltern unterhielten dort Konten. Nach dem Tod der Schwiegermutter erfolgten vom früheren Sparkonto der Schwiegereltern Barabhebungen in Höhe von knapp 64.000 DM, die vom Schwiegervater bzw. einem Schwager des Klägers unterzeichnet worden waren. Nach dem Tod des Schwiegervaters wurde auf Anfrage des Rechtsanwalts der alleinerbenden Tochter nach der Legitimation einer der Barabhebungen die Revisionsabteilung der Beklagten eingeschaltet. Diese stellte fest, dass im August/September 1995 auf die Konten des Klägers und seiner Ehefrau insgesamt 81.000 DM eingingen. Der Schwager des Klägers konnte sich nicht daran erinnern, entsprechende Beträge in bar erhalten zu haben. Daraufhin erklärte sich die Beklagte zur Erstattung der genannten Geldbeträge bereit. Anschließend wurde der Kläger von der Beklagten zur Rückzahlung aufgefordert, falls er das Geld rechtswidrig erworben habe. Unter dem 8.3.1999 überwies der Kläger das Geld. Am 10.3.1999 fand zwischen dem Kläger, dem Personaldirektor der Beklagten und dem Zeugen F ein Personalgespräch statt. Dabei warf man dem Kläger Vertrauensbruch vor und eröffnete ihm, die Beklagte müsse sich von ihm trennen, weil er für sie untragbar sei. In diesem Zusammenhang wurde die Möglichkeit einer Eigenkündigung durch den Kläger angesprochen und darauf hingewiesen, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis ihrerseits fristlos kündigen werde. Der Kläger unterzeichnete noch am selben Tag eine Eigenkündigung, die er später anfechten ließ. Mit Schreiben vom 17.3.1999 kündigte die Beklagte ihrerseits das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger macht die Unwirksamkeit seiner Kündigung geltend, die er nach seiner Ansicht wirksam wegen widerrechtlicher Drohung angefochten habe. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Entscheidung
Die Revision war ohne Erfolg. Das Arbeitsverhältnis ist durch die Eigenkündigung des Klägers aufgelöst worden.
Der Kläger rügt zu Unrecht eine Verletzung des § 123 Abs. 1 BGB. Nach der Norm kann derjenige, der widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des §_142 Abs._1 BGB anfechten. Eine Drohung i.S.d. §_123 Abs._1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Eintritt in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig dargestellt wird. Darunter fällt grundsätzlich auch die Androhung einer außerordentlichen Kündigung. Allerdings sind die Anforderungen, die das BAG an die Widerrechtlichkeit i.S.d. §_123 Abs._1 BGB stellt, sehr hoch. Nur wenn unter verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls der Arbeitgeber davon ausgehen muss, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten, darf er den Ausspruch einer (fristlosen) Kündigung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zur Eigenkündigung oder zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags zu veranlassen.
Nach Ansicht des 2._Senats kann eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn ein Sparkassenangestellter Auszahlungen an einen Kunden in erheblicher Höhe lediglich vorgetäuscht hat und das Geld zu seinen bzw. zu Gunsten seiner Ehefrau verwendet. Auch ein schwerwiegender Verdacht einer derartigen Pflichtverletzung ist an sich geeignet, eine fristlose Kündigung nach §_626 BGB zu rechtfertigen. Den Kläger belastet nach Ansicht des Senats insbesondere, dass er ? glaubt man seinem Vortrag ? durch eine Rückzahlung des von der Beklagten an den Betroffenen gezahlten Betrags dafür gesorgt hätte, dass der Betroffene die Beträge doppelt erhalten hätte. Es habe für die Beklagte im Übrigen kein Anlass zu weiteren Ermittlungen bestanden, da der Kläger das Geld anstandslos zurückgezahlt habe, obwohl ihm gesagt worden war, er solle dies nur tun, falls er den Betrag rechtswidrig erworben hätte. Die Beklagte musste auch als verständiger Arbeitgeber nicht davon ausgehen, die Kündigung würde sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung als unberechtigt erweisen. Angesichts der Vertrauensstellung eines Sparkassenangestellten wäre es der Beklagten nicht zumutbar gewesen, den Kläger an anderer Stelle in ihrem Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen oder lediglich eine Abmahnung auszusprechen.
Konsequenzen
Die Entscheidung verdient Zustimmung. Anders als ein Kündigungsschutzprozess, in welchem die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung im Einzelnen geprüft werden muss, unterliegt ein Anfechtungsprozess eigenen Regeln. Der anfechtende Arbeitnehmer trägt nämlich in vollem Umfang die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen des Anfechtungstatbestands. Er hat daher die Tatsachen darzulegen und ggf. zu beweisen, die die angedrohte Kündigung als widerrechtlich erscheinen lassen (vgl. BAG, Urt. v. 12.8.1999 ? 2 AZR 832/98, AuA 2001, S. 88). Widerrechtlich ist die Drohung mit einer (außerordentlichen) Kündigung allerdings nur, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Etwa, wenn der Arbeitgeber unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen muss, dass die Kündigung einer arbeitsgerichtlichen Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten wird. Dies wäre z.B. gegeben, wenn der Betriebsrat nicht angehört oder die Zustimmung des Integrationsamts bei der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen nicht eingeholt worden ist oder eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre (Straub, Jahres-Handbuch Personal, 4. Aufl. 2003, Rdnr. K 377). Im Übrigen kann eine Drohung auch widerrechtlich sein, wenn sie nicht mehr als angemessenes Mittel zur Erreichung des Zwecks anzusehen ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der Arbeitnehmer eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt und der Arbeitgeber ohne nähere Sachverhaltsaufklärung von einer vorgetäuschten Krankheit ausgeht und deswegen eine fristlose Kündigung androht (vgl. BAG, Urt. v. 21.3.1996 ? 2 AZR 543/95, BuW 1996, S. 584).
PRAXISTIPP
Einem Arbeitnehmer kann angesichts der Prozessrisiken nur davon abgeraten werden, eine Eigenkündigung auszusprechen bzw. einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Darüber hinaus ist der Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht nur regelmäßig für die Dauer von 12 Wochen ?gesperrt? (§_144 Abs._1 Nr._1 SGB III), die Anspruchsdauer vermindert sich auch um mindestens ein Viertel (§_128 Abs._1 Nr._4 SGB_III). Aber auch ein Arbeitgeber sollte den Arbeitnehmer nicht zu einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung oder Aufhebungsvertrag drängen, da ein solches Verhalten eine negative Signalwirkung auf die übrige Belegschaft haben kann, zumal eine Anfechtung wegen Drohung oder arglistiger Täuschung durch den betroffenen Arbeitnehmer noch innerhalb eines ganzen Jahres erfolgen kann (§_124 Abs._1 BGB). Schnellere Rechtssicherheit und ?klarheit für alle Beteiligten verspricht daher im Regelfall eine gütliche Einigung nach Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung, nicht zuletzt weil auch auf Seiten des Arbeitnehmers meist kein großes Interesse an einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses mehr besteht.
Richter und Lehrbeauftragter
Dr. Michael E. Reichel, Schwerin
Quelle: www.arbeit-und-arbeitsrecht.de