Exotische Studiengänge: Jobkiller Orchideenfach?
„Ich habe einen Master in angewandter Sexualwissenschaft und bewerbe mich deshalb bei Ihnen…“ Was wie ein doofer Anmachspruch klingt, kann durchaus seriöse Realität sein. Denn exotische, seltene Studiengänge gibt es auch in Deutschland zuhauf. Sie werden „Orchideenfächer“ genannt, und wenn du solch ein Fach studierst, fragt dich in der Regel bei Familientreffen jeder Verwandte, was du damit später eigentlich einmal arbeiten willst. Aber: Ungewöhnliche Studienfächer sind, was die Beschäftigungsaussichten angeht, besser als ihr Ruf.
Inhaltsverzeichnis
Orchideenfächer: Wie exotisch darf’s denn sein?
Ein Job als Mathelehrerin wäre dir viel zu langweilig? Und mal ganz ehrlich: Wer will schon Tierarzt werden? Oder vielleicht sogar Betriebswirtschaftler? Solch stereotype Berufsbilder sind dir alle ein Graus. Denn du strebst nach dem Exotischen, dem Unbekannten – der echten Herausforderung! Intellektuell spannend ist für dich ein Studienfach erst, wenn man es seinem Gesprächspartner erklären muss. Denn unter „Onomastik“ oder „Sorabistik“ kann sich schließlich nicht jeder etwas vorstellen.
Ungewöhnliche Studiengänge lassen sich in zwei Lager unterteilen. Zum einen gibt es die absoluten Nischenfächer, wie zum Beispiel besondere Dialekte, Sprachen oder ganz spezielle Teilwissenschaften eines Fachbereichs. Zum anderen entstehen immer wieder neue Studienfächer, die auf aktuelle Arbeitsmarktentwicklungen Bezug nehmen und Fachpersonal für bestimmte Wirtschafts- oder Industriezweige ausbilden sollen. Oftmals handelt es sich dabei auch um Mischstudiengänge aus verschiedenen Disziplinen, die unter einem möglichst spannend klingenden Namen zusammengefasst werden.
Ab und an werden generell auch Studienfächer, die zu keinem klassischen Berufsbild zum Broterwerb führen, als Orchideenfächer bezeichnet. Oder aber Fachbereiche, in denen es in Wirtschaft und Industrie kaum Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Dazu zählen dann auch Studiengänge wie Philosophie, Mediävistik, Vor- und Frühgeschichte, Musikwissenschaften, Ethnologie, Assyriologie usw. – generell viele Fächer der Geisteswissenschaften.
Hier mal ein paar Beispiele für Orchideenfächer, die man aktuell an deutschen Universitäten und Hochschulen studieren kann:
- Angewandte Sexualwissenschaften (Hochschule Merseburg)
- Vegan Food Management (FHM Bamberg, Bielefeld und Köln)
- Eurythmie (Alanus Hochschule Alfter)
- Onomastik oder Namensforschung (Universität Leipzig)
- Diversitätsmanagement, Religion und Bildung (Universität Würzburg)
- Sorabistik (Universität Leipzig)
- Frisistik (Universität Kiel)
- Cruise Tourism Management – Kreuzfahrttourismus-Management (Hochschule Bremerhaven)
- Beauty Management (Handwerkskammer Koblenz)
- World Heritage Studies (btu Cottbus-Senftenberg)
Job-Chancen mit seltenen Studienfachrichtungen
Geisteswissenschaftler kennen per se das Problem, dass Hinz und Kunz sie permanent fragen, was sie denn später eigentlich mit diesem Studienabschluss arbeiten wollen. Das geht Studenten von Orchideenfächern genauso. Wie sieht es also mit den Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus, wenn man ein extrem seltenes Studienfach absolviert hat?
Die Aussichten: Besser als gedacht
Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft und des Stifterverbandes sind die Berufsaussichten für Geisteswissenschaftler oftmals besser als angenommen. So fanden sich im Jahr 2016 unter den ca. 505.000 Geisteswissenschaftlern in Deutschland immerhin 140.000 Führungskräfte. Allerdings verschweigt diese Studie auch nicht, dass Absolventen dieser Fächer im Durchschnitt ein geringeres Einstiegsgehalt verdienen als andere Akademiker. Das trifft vor allen Dingen auf Bachelor-Absolventen zu. Promovierte Geisteswissenschaftler hingegen haben auch recht gute Verdienstaussichten.
Motiviert ins Orchideenfach
Wer sich für ein exotisches Studienfach entscheidet, dem ist in der Regel vorab sehr klar, was er tut. Während man die Banklehre oder das BWL-Studium vielleicht eher aus Verzweiflung oder dem Mangel an interessanten Alternativen beginnt, dürfte das für Fächer wie Albanologie oder Ägyptologie kaum zutreffen. Denn: Die Inhalte dieser Fächer kennt eigentlich niemand, der sich nicht schon vorab für diesen Themenbereich interessiert hat.
Studenten von Orchideenfächern sind deshalb oft besonders motiviert und auch überdurchschnittlich interessiert an ihrem Fachgebiet. Viele bringen bereits fundiertes Vorwissen mit, das sie sich nicht mühsam angelernt, sondern quasi als Hobby aufgesogen haben. Diese Begeisterung fürs Fach ist eine sehr gute Ausgangslage, um später auch Erfolg im Beruf zu haben. Denn wer das liebt, was er tut, ist darin meist auch sehr gut und hat große Chancen, Karriere zu machen – auch, wenn es in einem Fachbereich vielleicht nur sehr wenige Forschungsstellen oder Institute als Arbeitgeber gibt.
Geld ist nicht die Welt
Zudem hat für viele Orchideenfachbegeisterte Geld nicht unbedingt den höchsten Stellenwert. Die Frage, wie man eine „erfolgreiche“ Karriere definiert, steht hier im Raum. Wer sein Aufgabengebiet liebt, dem ist es oftmals in erster Linie wichtig, sich mit seinen Themen beruflich beschäftigen zu dürfen und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das ganz große Einkommen steht da nicht unbedingt auf Position 1 der Wunschliste.
Flexibilität ist das Zauberwort
Trotzdem ist klar: Klassische Stellenanzeigen mit exakt deiner Berufsbezeichnung wirst du als Sorabistiker oder Master of Eurythmie kaum finden. Gerade Geisteswissenschaftler müssen deshalb ihre Studienzeit nutzen, um sich Zusatzqualifikationen anzueignen. Dabei entdeckt man vielleicht auch das eine oder andere Berufsfeld in Wirtschaft und Industrie, das man spannend und interessant findet. Eine große Chance bietet hier die Digitalisierung: Wer als Geisteswissenschaftler digitale Skills aufweisen kann, tut sich um vieles leichter, einen Job zu finden. Denn in Kombination mit einer ihm unterstellten Problemlösungs- und Kommunikationskompetenz kann er so zu einem gefragten Bewerber auf dem Markt werden.
Ein Quereinstieg ist die Regel
Wer ein Orchideenfach studiert, sollte von vornherein wissen: Die Anstellungsmöglichkeiten in der Forschung und Wissenschaft sind bei solch kleinen Fachbereichen natürlich sehr begrenzt und erfordern exzellente Studienergebnisse. Tummelst du dich später auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, musst du bereit sein, den Quereinstieg zu wagen. Welche Branchen für dich in Frage kommen, klärst du am besten bereits während des Studiums durch Praktika oder Nebenjobs.
Hier ein paar bewährte Möglichkeiten, wie man als Quereinsteiger aus einem bestimmten Fachbereich in der Arbeitswelt Fuß fassen kann:
Sprachwissenschaftler exotischer Sprachgruppen
Speziell wenn du eine lebendige Sprache und deren Kulturraum studiert hast, bringst du Kommunikationsfähigkeit, Textverständnis, analytische Fähigkeiten, aktuelles Spezialwissen und Problemlösungskompetenz mit. Damit wirst du auch für Wirtschaft und Industrie interessant. Mögliche Bereiche, in denen du arbeiten kannst, sind beispielsweise Marketing, PR und Werbung, das redaktionelle Umfeld in Verlagen, Texterstellung und -optimierung im Onlinebereich, die Unternehmensberatung und der Vertrieb.
Wichtig: Du solltest generell keine Berührungsängste mit Online-Medien haben.
Sozialwissenschaftler
Auch für diese Gruppe bieten sich Anstellungen im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit in großen Unternehmen an. Aber auch die Politik bzw. die politische Verwaltung stellt ein Beschäftigungsfeld dar. Berater in Büros von Bundestags- oder Landtagsabgeordneten, im EU-Parlament usw. bringen oftmals entsprechende Studienabschlüsse mit. In der Regel gelingt der Einstieg aber nur über entsprechende Praktika, die man vorab absolvieren muss. Und das oft beschworene Vitamin B ist bei der Jobsuche in dieser Sparte auch sehr hilfreich.
Absolventen sehr spezifischer Studiengänge
Hierunter fallen all diejenigen, die einen sehr eng gefassten Fachbereich studiert haben, also zum Beispiel „Vegan Food Management“ oder „Angewandte Sexualwissenschaften“. Vorab sollte man sich bei der Wahl solch eines Faches klar darüber sein, dass man nach dem Abschluss mit anderen Absolventen klassischer Studiengänge konkurriert, die nicht automatisch schlechter gestellt sind, nur weil sie ein breiter angelegtes Fach studiert haben.
Zum Beispiel:
Jemand, der Soziale Arbeit oder Psychologie mit dem Schwerpunkt Sexualberatung gewählt hat, kann genauso geeignet sein für bestimmte Jobs wie der Absolvent des Fachs „Angewandte Sexualwissenschaften“. Darüber hinaus bringt er vielleicht sogar noch ein breiteres Basiswissen mit, ist jedoch nicht so detailliert spezialisiert wie letzterer.
Eng definierte Fächer bereiten Studenten sehr gezielt auf bestimmte Berufsfelder vor. Deshalb ist man dann in der Regel auch auf das gewählte Thema festgelegt. Das ist ein Unterschied zu vielen geisteswissenschaftlichen Abschlüssen mit eher allgemeinbildender Funktion. Bei welchem Arbeitgeber und wie du dich mit deinem Thema dann beruflich beschäftigst, ist natürlich noch offen.
Man hat also als Akademiker auch hier eine Wahl: Der vegane Food Manager kann sich selbstständig machen und Kurse bei Unternehmen und Bildungseinrichtungen zum Thema geben, oder für Sportler und Privatleute in der Beratung tätig sein. Er kann aber auch in der veganen Sparte in der Lebensmittelindustrie eine Anstellung finden. Und auch ein Job als Redakteur in einem Kochbuchverlag ist vorstellbar.
Als erfolgreicher Beauty Manager ist der Werdegang eher vorprogrammiert: Mit solch einem spezifischen Abschluss bleibt man in der Regel in seinem Fachbereich.
Absolventen moderner Kombi-Studiengänge
Kombi-Studienfächer mit spannend klingenden Namen wie beispielsweise der Studiengang „Kultur und Technik“ (btu Cottbus-Senftenberg) stellen nicht selten an dir interessierte Arbeitgeber vor eine Herausforderung. Denn weder dein potenzieller Chef noch der Personaler können sich so ganz genau vorstellen, was du da eigentlich studiert hast. Jetzt bist du gefragt: Dir muss es in deiner Bewerbung gelingen, mit wenigen Worten am besten im Anschreiben darzustellen, welche Inhalte aus deinem Studium dich warum für den gewünschten Job qualifizieren.
Der Vorteil: Auch hier kann das Themen- und Branchenfeld möglicher Jobs sehr weit gefasst sein. Du musst einen Bogen schlagen zum in der Jobausschreibung gefragten Thema. Das gelingt entweder über Praxiserfahrung, die du bereits in dem Bereich gesammelt hast. Oder aber du kannst Studieninhalte vorweisen, die dir in diesem Job sehr hilfreich sein werden.
Fazit
Allein der Umstand, dass ein Studienfach sehr selten oder unbekannt ist, sollte dich nicht davon abhalten, es zu studieren. Überlege vorab genau, warum dich dieses Fach interessiert, und informiere dich sehr detailliert, mit welchen Studieninhalten man sich ganz konkret über die Semester verteilt beschäftigt. Die Studienberatungen an den Hochschulen können Auskunft geben, in welchen Branchen und Berufszweigen ehemalige Absolventen heute arbeiten. Kannst du dir vorstellen, solch einen Job auszuüben, dann stürze dich ins Studium und lass die anderen ruhig über die „Orchideenfächler“ lästern. Es kommt einzig und allein darauf an, wie du dein Studium anpackst und dich währenddessen weiterqualifizierst. Denn per se sind deine Arbeitsmarktchancen mit einem seltenen Studienabschluss nicht schlechter.
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Veronika ist Redakteurin und Content-Managerin. Sie hat Kommunikationswissenschaften, Arbeits- und Organisationspsychologie sowie Französische Sprachwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studiert und ist bereits über 15 Jahre journalistisch in Print und online unterwegs. Für careeasy – Dein Karriere-Magazin von stellenanzeigen.de recherchiert und schreibt Veronika zu Themen rund um Studium & Ausbildung, Karriere, Gesundheit im Job und Arbeitsrecht.